Chorusgirl
Manche nennen es Indie-Pop, manche Jangle-Pop, anderen fällt vielleicht die sogenannte Anorak-Szene oder die C-86 Bands von Shop Assistants bis The Chesterfields ein: England hat seit gut dreißig Jahren ein gutes Händchen für Gitarrenpop, bei dem nicht zuletzt Sängerinnen und Instrumentalistinnen im Vordergrund standen. Nun traten in letzter Zeit einige Bands von damals wieder ins Scheinwerferlicht, zum Beispiel The Primitives und Fuzzbox. Aber seit BritPop und Grunge will einfach nicht mehr gelingen, was einen Gutteil der mittleren Achtziger in Europa ausmachte: Dass menschlicher, unaufgeregter Pop von Leuten von (gefühlt) nebenan reihenweise über kleine Labels zu einem größeren Publikum durchdringt. Wahrscheinlich ist die Industrie – und auch die Hörerschaft? – viel zu top-down orientiert. Und nur teuerste Produktionen mit riesigem Budget bestimmen den Musikgeschmack. Wenn da nicht diese kleinen Labels wären…
Auftritt Fortuna POP, das in den letzten Jahren Chorusgirl bereits deutlich mehr Aufmerksamkeit verschaffen konnte – und mittlerweile leider verblichen ist. Mir waren sie schon mit dem Video zu „Oh, To Be A Defector“ aufgefallen, und seitdem hoffe ich immer auf eine Art Indie-Hit von ihnen. Genauso regelmäßig schaffen sie es, völlig normale Songs zu veröffentlichen, die aber nie den großen Wurf bedeuten. Da kann man durchaus fragen: Ja, muss das denn so sein?
Seit etwa 1982 weiß man, was mit Bands passierte, die dann doch zu viel „mass appeal“ hatten. Viele schlugen sich gut, wie The Cure oder Siouxsie and the Banshees. Aber viel höher ist die Zahl derjenigen Bands, deren Sänger oder Sängerin dann zu einem hochindividualisierten Pop-Produkt verfremdet wurde. Die Liste ist fast endlos: Adam Ant, Billy Idol, Bananarama, Ultravox, selbst Michael Jackson und Dinosaurier wie Genesis kann man mitzählen. Da liegt die Macht des Normalen, die subversive Kraft von Bands, die eben nie ihren Durchbruch schaffen werden: Sie machen einfach weiter prima Indie-Pop, bleiben zusammen, entwickeln sich entspannt weiter – und bringen vielleicht 2020 mal ein Album heraus, das ihnen selbst wie ihren Anhängern Lust auf noch viele weitere Jahre ohne Ausverkauf macht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger wünsche ich für Chorusgirl im kommenden Jahr.
Wie findet man solche Bands? Neben dem klassischen Ansatz „Label herausfinden und gucken, wer da noch veröffentlicht“, empfehle ich tatsächlich manche automatischen Funktionen bei guten Portalen wie „wer das mag, mag auch“. Aber aufgepasst: Die Großindustrie tendiert dazu, immer zu major Bands hinleiten zu wollen. Also nicht auf vertraut klingendes klicken, sondern auf Namen und Bilder, die nicht nach Mainstream aussehen. Auch so unterstützt man heutzutage die Reste unabhängiger Popmusik. Chrousgirl wie auch andere lassen sich nach wie vor auch über Soundcloud oder Bandcamp verfolgen. Hierzu direkt noch ein Tipp: Gucken, wen die Bands und das Label selbst mögen! Es werden sich viele tolle Dinge finden – und Entdecken macht Spaß!